raimund spierling

„Egal was ich tue, irgendwie wird es immer eine Collage – konzeptionelle Sprödheit liegt mir nicht, eher emotionale Materialschlachten. Eine Handvoll Papierschnipsel oder Pixel hochwerfen und anschließend auf das Papier kleben, das ist keine große Kunst – aber vielleicht klebe ich die Dinge ja an die richtigen Stellen.“

Home beat home – James Last und Tanzmusik aus Opas Musiktruhe bekommen lautstarke Konkurrenz. Die erste eigene Schallplatte Ob-la-di-ob-la-da zieht bei Spierlings ein. Dann schwebt auch noch der große Rockzeppelin mit Page und Plant an Bord übers Haus. Jetzt ist es mit der heimischen Ruhe für die Elterngeneration ganz vorbei. Künstlerisch geprägt wird das Familienleben durch das Schaffen von Hubert Spierling, der mit seiner Glasmalerei bis heute Hunderte von Gebäuden, vorzugsweise Kirchen, in magisches Licht getaucht hat.

Jugend forscht – eigene Fingerübungen auf der ersten akustischen Gitarre, Lagerfeuerlieder und Sauerlandblues. Spontaner Gedanke: elektrisch wäre noch geiler. Ergo: Experimentelle Soundcollagen mit Vierspurbandgerät und allem, was Geräusche macht, eher sphärische Klänge als Musik. Kraftwerk, Tangerine Dream­ lassen grüßen.

Plattendeals auf dem Sofa – kein Musikladen weit und breit im heimischen Menden, aber ein fahrender Music dealer rettet die musikbegierige Jugend, Spierling inklusive. Die ersten Plattenkäufe im Wohnzimmer-Ambiente eröffnen eine neue progressive Welt. Bürgerschreck im Sauerland – Nein, nicht Spierling, sondern Frank Zappa, der amerikanische Musikintellektuelle mit provokanten Rebellengesten und komplexesten Songstrukturen („Ich habe das wirklich geliebt und mich gefragt, wie man nur einfache Popmusik konsumieren konnte“) dreht sich unaufhörlich auf dem Plattenteller. In Dortmund dann endlich auch Zappa live. Zappa und DaDa befreien den Geist, konzertante Psycho-Pop-Werke wie Atom Heart Mother erweitern das Herz und beflügeln die Künstlerseele. In einer Ausstellung mit großformatigen Bildern rechnet Spierling mit der Heimatstadt ab.

Druckreif – Ausbildung zum Drucker (letzte Buchdruckergeneration Deutschands), Begeisterung für Bleibuchstaben, dicke schwarze Farbe und Schriftkunst. Fasziniert von der „Linotype“-Setzmaschine und dem „Heidelberger Tiegel“, die den Wandel erleben vom Arbeitsgerät zu Maschinenskulpturen. Dada dreidimensional, Tinguely sei Dank. Gebrauchte Druckmaschinen, Blei- und Holzlettern für die Produktion von Druckgrafik und Schrift-Druck-Werken werden später zu Spierlings künstlerischen Begleitern. All that Jazz – Spierling im Fieber der musikalischen Erweckung und Entdeckung: Coltrane, Parker, Davis, Monk, Baker, Nina Simone. Die exquisite Vinylsammlung füllt sich mit den Klassikern und Könnern des Jazz von Blue Note bis Verve.

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Junger Wilder – Design-Studium in Krefeld. Als guter Zeichner tobt sich Spierling zunächst im Krefelder Zoo aus, den Tierskizzen folgt eine Sammlung von in Cafés und auf Reisen verewigten Menschen, darunter auch die ersten von vielen „bühnenreifen“ Musikerstudien. Prof. Manfred Vogel weckt sein Interesse für großformatige Malerei, die eigenen Bilder passen nun nicht mehr in einen Pkw. Spierling freundet sich mit der Kunst Robert Rauschenbergs, Francis Bacons und der „Neuen Wilden“ an und wird selbst einer, der sich in Ateliergemeinschaften und vielen Ausstellungen austobt.

Kreuzberger Nächte – Spierling erlebt die aufregende Berliner Vorwendezeit und produziert große Menschenbilder Die heimliche Hauptstadt wird für ihn zum Sprungbrett für Kunstreisen nach Island, Marokko, in die Türkei, durch Wüsten, zu Vulkanen, ins Hochgebirge. Es entsteht Malerei von Extremlandschaften im Großformat. Materialschlachten mit hohem Aufwand vor Ort in den Bergen, auch logistisch echte Abenteuer.

Schlaflos in New York – der einjährige Studien- und Arbeitsaufenthalt im Big Apple wird zum Trip mit offenen Augen und wilden Malerhänden durch die New Yorker Jazz Clubs. Zu Gast in Lester Bowies Wohnzimmer Village Vanguard, Carla Bley im Blue Note, Don Cherry im Birdland. Immer wieder Open Air Konzerte im Central Park. Stets dabei ist Spierlings Skizzenbuch, in dem er mit schnellem, unverwechselbarem Strich seine Live-Highlights verewigt. Ein Fundus von Hunderten von Motiven, die irgendwann für UNPLUGGED wiedererweckt werden. Blow-ups auf Papier, übermalte Schwarzweißkopien, Ausstellung in NYC. Weitere Reisen in den Südwesten der USA, Wüsten, Schluchten, Berge und mit dem Fahrrad durch Monument Valley. „Color California Dreaming“ auf dem Highway Number One.

Zurück in Düsseldorf – mit Amerika-Spirit, Fax, Schwarzweißkopierer und US-importiertem Mac im Gepäck Start up als Garagenfirma in Düsseldorf. Es beginnt eine arbeitsreiche, erfolgreiche Zeit als Designer/Illustrator mit eigenem Strich und unverwechselbarer Handschrift. Regelmäßige Besuche bei den Jazzfesten in Moers, Leverkusen, im Düsseldorfer Hofgarten und bei Klaus Doldingers Jazz-Rally – die Skizzenbücher füllen sich weiter. Im neuen Atelier entstehen neben eigenwilliger Werbung neue Kunstprojekte wie „Leibgericht“, „The Volcano Show“ und „Unplugged“. In enger Partnerschaft mit Langzeitfreund Thomas Schubert folgen „Narr mit Wurst“, „Der Berg ruft“ „Küchenbilder“, „Touristics“, „Flowerpower“ und „Seestücke“.

Berliner Kulturluft – Spierling zieht es mitsamt Familie in die Hautpstadt und Kulturmetropole – das Atelier in Düsseldorf bleibt für Projekte und Ausstellungen bestehen. In der alten, neuen Heimat entwickelt er „Overdose-Berlin“ – Objektkunst im Pop Art-Stil für den öffentlichen und privaten Lebensraum. Spierling lernt den Musiker Christoph Wilcken kennen und schätzen. Es entsteht die Idee zu einer Collage aus Bild, Text und Musik, um sich vor der Magie der Musik und vor den großen Musikern zusammen mit Thomas Schubert und Christoph Wilcken im Rahmen von UNPLUGGED zu verneigen.